…für Notfälle

Heute Nachmittag hatte ich mein Handy vergessen. Es blieb auf dem Küchentisch liegen, als wir uns auf den Weg machten, die Schafe und Katzen auf der Wiese zu versorgen. Eine Viertelstunde Hinweg, eine Viertelstunde auf der Wiese, eine Viertelstunde Rückfahrt – ohne Handy, nicht erreichbar, einfach vergessen.

Als mir diese Tatsache nach einigen Kilometern bewusste wurde, huschte doch tatsächlich ein flirrendes Gefühl von Stress und Unwohlsein durch mein Inneres. Wegen solch einer Lapalie –

Das fand ich interessant, und so nutze ich die Gelegenheit, in meiner vor Übermüdung etwas durchsichtigen Psyche (ich hatte von ca. 1 Uhr nachts an bereits knapp 12 Stunden durchgehend gearbeitet), diesem Gefühl auf den Grund zu gehen.

„Handy vergessen“ heißt in diesem Fall: für eine dreiviertel Stunde bin ich nicht zu Hause, ich kann niemanden anrufen und von niemandem angerufen werden.
Wie sollte denn bitte in dieser Situation etwas Bedrohliches liegen, das Stress hervorzurufen vermag?

Ich habe bestimmt nicht vor, jemanden dringend anzurufen.
Auch erwarte ich kein wichtiges Telefonat – und ohnehin: wozu gibt es schließlich Anrufbeantworter?
Falls wir mit dem Auto eine Panne haben sollten, dann wäre es natürlich sehr praktisch, per Telefon um Unterstützung bitten zu können; aber ich fühle mich so offen und entspannt, dass es in diesem Falle nur spannend wäre, zu erleben, auf welch‘ wundersamen Wegen Unterstützung und Hilfe ganz von allein zu uns fänden.
Dann bleibt also nur noch eins:
Ich wäre in einem Notfall nicht erreichbar.
Bei einem unvorhergesehenen Unglücksfall könnte ich nicht umgehend nach Hause eilen.
Wenn eine dringende Frage auftauchen sollte, die nur ich beantworten könnte, müsste tatsächlich auf meine Rückkehr gewartet werden.
Und so weiter, und so weiter, selbstverständlich ließe sich die Liste farbenfroh fortsetzen…

Soweit ist es also gekommen: dass eine subtile Struktur in mir Form angenommen hat, in der ich mein Handy als einen rund-um-die-Uhr betriebsbereiten „Piepser“ betrachte, in der ich eine permante Abrufbereitschaft aufrecht erhalte. Wie ein Feuerwehrmann oder ein Bereitschaftsarzt – nur eben ohne Waldbrandgefahr und ohne die Notaufnahme eines Krankenhauses im Hintergrund.

Wie soll man so etwas jetzt nennen?: „fürsorglich??“ – „größenwahnsinnig??“ – oder ein wenig diplomatischer: „unangemessen“ ?

Da war ich dann sehr dankbar darüber, dass mein Handy auf dem Küchentisch liegen geblieben war.
Dankbar für diese Gelegenheit, genau hinzuschauen und schließlich tief durchzuatmen, tief loszulassen und tief zu entspannen.
Dankbar für die Gegenwart dieser authentischen Einsatzbereitschaft für Andere in mir.
Dankbar für das ehrliche innere Lachen, wenn die Phantasien des Ego mal wieder alle Grenzen des Anstandes überschreiten wollen.
Dankbar für das unerschütterliche Eingebunden-Sein – von mir, aber ja auch von jedem anderen Wesen – in eine wohlwollende, liebevolle Lebenskraft.
Dankbar dafür, vertrauen zu können; zu wissen, dass ich ja gar nicht anderes kann, als im Vertrauen zu leben; dass ich keinen Finger zu rühren imstande bin, ohne ein bedingungsloses Vertrauen in dieses Leben.

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Hartwig

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