Religion

Es gab Augenblicke in meinem Leben, da hatte ich ein wenig Furcht davor, dass später vielleicht einmal ein etwas verschrobener, alter, einsamer Mann aus mir werden könnte…. Mit den Jahren beginnt sich zumindest die Furcht  davor zum großen Teil zu legen… 😉  –  komme, was kommen mag.

Denn ich komme nicht umhin festzustellen, dass sich über die Jahrzehnte in meinem Inneren eine ganz ureigene Weltsicht, meine ‚ganz eigene Religion‘ sozusagen, immer weiter und weiter herauskristallisiert hat. Sie besteht aus vielen einzelnen Aspekten aller Religionen und Philosophien, die mir im Laufe meines Lebens begegnet sind, zusammengewoben durch meine inneren und äußeren Lebenserfahrungen und Einsichten, geordnet von einer in erster Linie intuitiven Schau, die direkt einem unergründlichen „Urgrund“ entspringt, der alle Existenz umfängt.
Obwohl, oder auch weil sich bestimmte Sichtweisen fortlaufend korrigieren und weiterentwickeln, ist mein Vertrauen in das, was ich sehe und verstehe, in einer überraschenden Weise tiefgehend und stabil.
Obwohl, oder auch weil mein Verstehen so uneingeschränkt subjektiv ist, treten die grundlegenden Zweifel immer weiter zurück.

Es ist eine unscharfe, unvollständige, widersprüchliche „Religion“, und ich ziehe sie mit Begeisterung jedem vollständigen und logischen System vor. Dualität und Urteil lösen sich weitestgehend in ihr auf; jegliches „du sollst“ übersetzt sich in ein „siehe, du bist“. Ihrer Essenz zuzuhören und darin zu verweilen bereitet mir größte Freude und Zufriedenheit.

Allerdings kann ich gut verstehen, dass dies mein „Privatvergnügen“ ist. Wer würde sich schon die Mühe machen wollen, all‘ diese Zusammenhänge nachzuvollziehen? Jeder Mensch ist doch bereits rund um die Uhr und ausreichend mit sich selber beschäftigt.
Wahrscheinlich ergeht es ja sogar den meistens Menschen ganz ähnlich wie mir; sie tragen ihre eigene Religion im Herzen mit sich herum; voller Überzeugung und doch gleichzeitig voller Scheu, sie zu offenbaren.
Ob auch jeder Mensch dieses stille Sehnen in sich trägt, einmal jemandem zu begegnen, der seine „eigene Religion“ ein wenig verstehen könnte, dem sie vielleicht sogar etwas geben und bedeuten würde, und den sie inspirierte und erfreute mit dem Licht, welches in ihr ruht?
Zumindest in meinem Herzen nimmt diese unausgesprochene Hoffnung einen zentraleren Platz ein, und meine innere Freiheit misst sich nicht zuletzt daran, wie offen, freundlich und doch auch gänzlich losgelöst ich dieser Hoffnung ihren Platz lassen kann.

So ein unaussprechlich tiefer Frieden, in dem dieses rastlose Leben ruht.

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Hartwig

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